“Haftung bei erlebnispädagogischen Kletteraktionen”, Klassenfahrten Magazin 2004

Wer haftet? Rechtslage

Die Frage der Haftung bei Kletteraktionen tritt für Lehrer immer wieder auf und sorgt für Verunsicherung. Grundsätzlich übernehmen die Träger der gesetzlichen Schülerunfallversicherungen die Kosten für die Heilbehandlung eines Verunglückten.

Die Versicherung wird, je nach Vertragsbedingungen, beim Verursacher Regress anmelden, wenn es sich um vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden handelt. Davon abgesehen kommen im Falle eines Unfalls straf- und zivilrechtliche Folgen hinzu. Belangt werden kann die verantwortliche Person in einem Verfahren wenn sie ihrer Aufsichts- und Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist. Im Sinne der Aufsichtspflicht wird geprüft, ob der Aufsichtspflichtige nach bestem Wissen und Gewissen alles getan hat um dem Schaden vorzubeugen oder zu verhindern.

Kann der Beschuldigte dies nachweisen, scheidet eine Haftung aus (vgl. §832 Abs. 1, Abs. 2 BGB).

Richtlinien der Aufsichts- und Sorgfaltspflicht

Im Rahmen von erlebnispädagogischen Veranstaltungen gelten für die Aufsichts- und Sorgfaltspflicht folgende Richtlinien:

 Die Regelungen des Dienstherren (Schulverwaltung). Beinhalten allgemeine Grundsätze und Verhaltensregeln.

 Lehrmeinung der zuständigen Fachverbände. Die betreffenden Alpenvereine und die European Ropes Course Association (ERCA, Verband der Hochseilgartenbauer und –betreiber) der Berufsverband Erlebnispädagogik geben Richtlinien für die Durchführung von Seilaktionen heraus.
An diesen Richtlinien hat sich jeder zu orientieren, der solche Aktionen durchführen will.

 Publikationen der Fachliteratur. Die allgemeine Lehrmeinung findet sich in der Literatur wieder und ist zu berücksichtigen.

 Fähigkeiten der Aufsicht. Der Leiter der Maßnahme muss kontrollieren, ob seine eigenen Fähigkeiten oder bei Abgabe der Gruppe an Dritte für die Durchführung ausreichend sind. Qualifikationen der Fachverbände geben Entscheidungshilfe.

Gängige Verhaltensweisen der Praxis. Die durchführende Person hat im Rahmen der Sorgfaltspflicht sich an den in der Praxis allgemein verbreiteten Verhaltensweisen zu halten.

Problematik

Für Lehrer, die sich den obigen Kriterien nicht gewachsen fühlen, ist die spannende Frage: Woran erkenne ich einen „qualifizierten Dritten“ an dem ich die fachsportliche Aufsicht
delegieren kann, um nicht belangt werden zu können? Forderungen wie sie z.B. von einem Gemeindeunfallversicherungsverband gestellt wurden, der Lehrer muss selbst eine
Einschätzung des Risikos vornehmen und darf sich nicht auf die Aussagen des Anbieters verlassen, verunsichert Lehrer natürlich sehr, da sie ja gerade weil sie über keine
Fachqualifikationen verfügen diesen Anbieter beauftragen. Eine solche Aussage wird in einem Ermittlungsverfahren sehr wahrscheinlich nur Bestand in Hinblick auf die allgemeinen Grundsätze nach bestem Wissen und Gewissen und den Kriterien des gesunden Menschenverstandes bestand haben.

Die Anlage des Betreibers zu überprüfen, ob sie nach den gültigen Sicherheitsstandards betrieben wird, werden wahrscheinlich die wenigsten Lehrer beurteilen können. Lässt der
Anbieter die Jugendlichen ungesichert an einer offensichtlich absturzgefährdeten hohen Felswand „herumturnen“, so kann auch einem Lehrer eine Teilschuld zugesprochen werden, da es auch ohne Fachkenntnisse zu besitzen offensichtlich eine sehr hohe Gefährdung für die Teilnehmer darstellt.
Dies ist der Punkt an dem Lehrer ihrer Aufsichtspflicht nicht genüge tun können. Woran erkennt nun ein Lehrer der in der Materie nicht so gut bewandert ist einen qualifizierten Betreiber?

Kriterien für geeignete Anbieter im Bereich Bergsport:

• Einhaltung der erlebnispädagogischen Sicherheitsstandards
• Einhaltung der Sicherheitsstandards von GUV, DAV und ERCA.
• Fachübungsleiter Sportklettern
• Angemessene erlebnispädagogische Ausbildung (Vorsicht nicht geschützter Begriff! Manche Ausbildungen behandeln dieses Thema nicht ausführlich, oder die Personen sind nicht ausgebildet Kletteraktionen eigenständig durchzuführen! )
• Ausreichende Erfahrung der Trainer
• Ausreichende Haftpflichtversicherung
• Umfangreiches Sicherheitsmanual vorhanden

Fazit

In den Berichten über Prozesse in der Erlebnispädagogik, fanden sich nirgendwo Hinweise über die Verurteilung von Lehrern, sondern eher nur Hinweise, dass die Kriterien für die
Verurteilung von Anbieter sich sehr verschärfen.
Fazit: Hat der Lehrer den Anbieter sorgfältig ausgewählt, „ist er i.d.R. aus dem Schneider“.

Über den Autor

Dirk Nüßer, Outside e.V.
Fachübungsleiter Sportklettern (DAV)
Fachübungsleiter Breitensport
Langjährige Erfahrung als Sicherheitsbeauftragter

Literaturverzeichnis

BUK (Bundesverband der Unfallkassen): Gesetzliche Schülerunfallversicherung. Broschüre Nr. 57.1.3, München 1996.
BUK: Sicher nach oben – Klettern in der Schule. München 1999.
JDAV (Jugend des Deutschen Alpen Vereins): Zum Thema. Klettern mit Kindern, München 2000.
DAV(Deutscher Alpen Verein): Alpin Lehrplan Band 2, Felsklettern, Sportklettern. München 1996.
Ermacora, A.:…wer die Sorgfalt außer Acht lässt. In: bergundsteigen 3/00, S.13-14.
Ermacora, A.: Freies Seilende vor Gericht. In: bergundsteigen 3/01, S.20-21.
Perschke H./ Flosdorf P.: Sicherheitsstandards in der Erlebnispädagogik. Weinheim München 2003.
Winter S.: Sportklettern mit Kindern und Jugendlichen. München 2004

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